Dieser Artikel ist ein Beitrag zur BlogparadeFAIR statt fies. In der Zeit vom 10. Oktober bis 13. November veröffentlichen Hundeblogger*innen aus dem deutschsprachigen Raum Artikel rund um einen freundlichen und fairen Umgang mit dem Hund. Da auch mir dieser sehr am Herzen liegt, steuere ich sehr gern meinen Teil dazu bei.
Leider herrscht noch immer unter vielen Hundehaltern und auch -trainern die Meinung, dass man mit positiver Verstärkung allenfalls nette Kunststückchen üben könne. Zeigt ein Hund jedoch irgendeine Form von auffälligem Verhalten, sei mit positiver Verstärkung kein Blumentopf mehr zu gewinnen. Da müsse man dem Hund klar machen, wer der Boss ist. Wenn der Hund den Menschen anknurrt, müsse das sofort in aller Deutlichkeit unterbunden werden. Wenn der Hund Angst hat, müsse er einfach durch die für ihn beängstigende Situation durch. Schließlich könne er nur so lernen, dass es keinen Grund gibt, Angst zu haben.
Mit diesem Artikel möchte ich das Gegenteil beweisen und anhand meiner Geschichte mit meinem Hund Bobby deutlich machen, welche Erfolge man mit Positivem Training und einem freundlichen Umgang bei einem stark verhaltensauffälligen Hund erzielen kann.
Bobby – ein Hund aus Rumänien
Mit Bobby haben wir uns ein kleines Überraschungspaket an Land gezogen. Er kam nicht direkt aus Rumänien zu uns, sondern war bereits in einem deutschen Tierheim. Wir hatten dort ausreichend Gelegenheit, mit ihn Zeit zu verbringen und ihn kennenzulernen. Wir waren uns dessen bewusst, dass viel Arbeit auf uns zukommen würde. Dennoch zeigte Bobby in den ersten Wochen und Monaten nach seinem Einzug Verhaltensweisen, die in dieser Intensität bei unseren Tierheimbesuchen noch nicht erkennbar waren.
Ich fasse nachfolgend einmal zusammen, was sich in der Anfangszeit so alles auftat:
Trotz seines Alters von ca 6 Jahren hatte er keine Grunderziehung. Dinge wie Sitz, Platz, Rückruf, Leinenführigkeit usw. musste Bobby erst erlernen. Stubenrein war er natürlich ebenfalls noch nicht. Das ist allerdings nicht verwunderlich. Schließlich verbrachte Bobby den größten Teil seines bisherigen Lebens auf der Straße.
Angst und Unsicherheit. Bobby erschrak bei jeder Kleinigkeit. Egal ob wir uns schnell bewegten, etwas zu Boden fiel oder Geschirr klapperte. Haushaltstypische Geräusche machten ihm allgemein Probleme. Anfangs traute er sich kaum durch die Haustür rein und raus, weil ihm der Durchgang zu eng war. Verschiedene Bodenbeläge sowohl im Haus als auch draußen bereiteten ihm Schwierigkeiten.
Extreme Berührungsempfindlichkeit. Bobby ließ sich weder streicheln noch in den ersten Tagen anleinen. Hier konnte ich allerdings bei unseren Tierheimbesuchen schon ein wenig entgegenwirken und erreichte, dass er sich von mir zumindest mal kurz anfassen ließ.
Aggressive Tendenzen. Wenn Bobby sich in die Enge getrieben fühlte – und das passierte in der ersten Zeit häufig – schnappte er. Bei Spaziergängen pöbelte er alles an, was nur im entferntesten Sinne wie ein Hund aussah. Besonders die großen schwarzen waren ihm schon von Weitem ein Dorn im Auge.
Immer wieder streckte Bobby aus dem Schlaf hoch. Es passierte nicht nur einmal, dass er während des Schlafens schrie, aufsprang und dann unter sich machte.
Es gab also viel zu tun.
Über Bobbys Vergangenheit war nicht viel bekannt. Irgendwann wurde er von rumänischen Tierschützern auf der Straße aufgegriffen und in ein privat geführtes Tierheim gebracht. Von dort durfte er einige Zeit später in ein deutsches Tierheim ausreisen, wo er dann ein Zuhause suchte.
Unser Leben mit Bobby, einem Hund mit Vergangenheit
Unsere Aufgabe bestand nun darin, Bobby in unseren Alltag zu integrieren. Vor allem war es erst einmal wichtig, Vertrauen zu ihm aufzubauen aber auch sein Selbstvertrauen zu stärken.
Die richtige Einstellung
Als allererstes ist es wichtig, eine positive Einstellung zum Hund und den anstehenden Aufgaben zu bekommen. Es ist nicht leicht, wenn der eigene Hund nicht gestreichelt werden will und sogar nach einem schnappt. Ich habe mir aber immer wieder verschiedene Bilder in den Kopf gerufen. Schließlich hat uns keiner gezwungen, Bobby zu adoptieren. Es war unsere eigene und freie Entscheidung.
Vor meinem geistigen Auge sah ich Bobby, wie er schwanzwedelnd an den Zaun des Freilaufgeheges gelaufen kam, wenn er uns sah. Ich erinnerte mich daran, wie er zum ersten Mal seinen Kopf an mich drückte. Nie werde ich den Tag vergessen, an dem er nach hause durfte. Er hat sich so sehr gefreut… – als hätte er gewusst, dass er jetzt endgültig mit uns kommen und bei uns bleiben durfte. Ich liebte diesen Hund von Anfang an und war überzeugt, dass wir die Probleme in den Griff bekommen würden.
Nun hatte ich mir zu dieser Zeit schon einiges an Wissen über Hunde angeeignet und fühlte mich in der Lage, die Dinge anzugehen. Bobby war kein Anfängerhund.
Der Umgang im Alltag
Wenn man einen Hund wie Bobby hat, braucht man sehr viel Geduld, Empathie und Durchhaltevermögen. Zwischen den ganzen Papieren, die wir bei Bobbys Adoption an die Hand bekommen hatten, befand sich auch ein Merkblatt zum “richtigen” Umgang mit einem Hund aus Rumänien. Dort hieß es, dass die Eingewöhnung unter Umständen Monate bis Jahre dauern kann.
Wir gestalteten unseren Alltag so, dass Bobby es möglichst leicht hatte, sich einzuleben. Dazu gehörte ein geregelter Tagesablauf mit weitgehend festen Gassi- und Futterzeiten. Ruhig und freundlich ermutigten wir ihn immer wieder, zu uns zu kommen. Wenn er das tat, wurde er gelobt und belohnt. Ich war für ihn da, wenn er mal wieder im Schlaf anfing zu Jaulen und freute mich über jeden noch so kleinen Fortschritt. Kleine Rituale nach dem Aufstehen und vor dem Zubettgehen sollten zusätzlich für ein wenig Sicherheit sorgen.
Clicker und Markerwort
Sehr bald nach Bobbys Einzug konditionierte ich den Clicker und eine Markerwort. Doch das war gar nicht so einfach, denn Bobby erschrak anfangs vor dem Geräusch des Clickers. Ich clickte von nun an in der Hosentasche. Bobby lernte schnell, und so dauerte es nicht lange, bis er verstand, dass ein Click ihm Gutes brachte.
Clicker und Markerwort konnte ich schnell in unserem Alltag etablieren. Ich markierte nun so oft wie möglich gewünschtes Verhalten und auch schon Schritte in die richtige Richtung. Somit hatte Bobby immer viele kleine Erfolgserlebnisse.
Selbstvertrauen durch Shaping
Im Rahmen eines vierwöchigen Onlinekurses lernte ich das Shaping kennen und anwenden. In diesen vier Wochen hat Bobby enorme Fortschritte gemacht und ist regelrecht aufgeblüht. Die vielen Erfolgserlebnisse, die er bei den Übungen hatte, taten ihm so richtig gut.
Berührungsangst
Bobby ließ sich ungern anfassen. Das war zugegebenermaßen die größte Baustelle, die wir hatten. Wichtig ist hier ein sehr durchdachtes und kleinschrittiges Vorgehen, um den Hund nicht zu überfordern. Wir boten Bobby immer wieder an, mit uns Kontakt aufzunehmen. Hier arbeiteten wir viel mit Futter, denn Bobby ist ein überaus gefräßiger Kandidat. Das klappte immer besser, je öfter wir es übten. In meinem Artikel Fass mich nicht an gehe ich noch genauer auf das Training mit einem berührungsängstlichen Hund ein.
Aggressives Verhalten
In der Anfangszeit passierte es immer wieder, dass Bobby nach uns schnappte. Das ist nicht lustig! Doch es wäre fatal, mit dem Hund dann zu schimpfen oder ihn anderweitig zu bestrafen. Vielmehr ist es angebracht, nach der Ursache zu suchen, warum der Hund in dieser bestimmten Situation geschnappt hat, denn ein Hund tut nichts ohne Grund. Bobby wurde meistens die Zuwendung zu viel. Hier war es angebracht, künftig mit etwas mehr Zurückhaltung vorzugehen. Auch setzte ich manchmal gezielt das “Abstand nehmen” als Belohnung ein, indem ich mich entfernte, wenn er sich kurz streicheln ließ.
Draußen arbeitete ich gezielt daran, Hundebegegnungen positiv zu verknüpfen. Bobby bekam sein Markerwort, wenn er einen Hund wahrnahm, aber dabei ruhig blieb. Das steigerten wir kontinuierlich. Heute können wir problemlos an den meisten Hunden vorbeigehen.
Das ist Bobby heute
Nach fast 5 Jahren, bei uns ist Bobby ein Hund, der Lebensfreude hat, der gern lernt und Spaß an Aktivitäten hat. Von uns lässt er sich gern streicheln. Fremden Menschen gegenüber ist er allerdings nach wie vor misstrauisch. An Tagen mit Schmuddelwetter kuscheln wir gern zusammen auf dem Sofa, was oft von Bobby initiiert wird. Es muss sehr lange her sein, als er zuletzt geschnappt hat, denn ich kann mich nicht mehr daran erinnern.
Gemeinsam meistern wir Alltagssituationen, die Bobby noch etwas Schwierigkeiten bereiten wie z. B das Gehen durch eine belebte Fußgängerzone. Er hat gelernt, mir zu vertrauen und sucht von sich aus meine Nähe, wenn ihm etwas unbehaglich ist.
Schwieriger Hund – das kannst du tun
Immer wieder erreichen mich Zuschriften von Hundehaltern, die ähnliches erleben, wie wir in unserer Anfangszeit mit Bobby. Wenn du auch einen Hund hast, der auffälliges Verhalten zeigt, gebe ich dir folgende Empfehlungen:
- Erwarte nicht zuviel. Bis sich dein Hund bei dir eingelebt hat oder du die ersten Trainingserfolge siehst, kann es eine ganze Weile dauern. Bleib dran und freu dich über Kleinigkeiten.
- Strahle Ruhe und Gelassenheitaus. Sprich deinen Hund in einem ruhigen, leicht motivierenden Ton an. Achte auf deine Körpersprache. Vermeide hektische Bewegungen.
- Konditioniere den Clicker und/oder ein Markerwort. Erst einmal im Alltag etabliert wird der Clicker und/oder das Markerwort dir eine wertvolle Hilfe sein, denn du kannst sehr präzise gewünschtes Verhalten bestätigen, wodurch dein Hund wiederum schneller lernt. Wie du ein Markersignal bei deinem Hund aufbaust und welche Vorteile es hat erkläre ich dir ausführlich in meinem Artikel zum Markertraining sowie in den Audio-Quicktipps dazu.
- Kleinschrittiges Vorgehen. Zerlege Übungen in kleine Bestandteile. Gerade bei einem Hund mit wenig Selbstvertrauen ist eine hohe Belohnungsrate sinnvoll. Auf der anderen Seite ist es aber auch wichtig, den Hund nicht zu überfordern. Mache deshalb auch öfter eine Pause.
- Dein Hund knurrt dich an oder schnappt nach dir? Auf keinen Fall solltest du mit ihm schimpfen oder ihn anderweitig bestrafen, denn dadurch wird es nicht besser! Bleib ruhig und überlege, was dieses Verhalten bei deinem Hund ausgelöst haben könnte. Er wird einen Grund für seine Reaktion gehabt haben. Arbeite dann ganz gezielt an dem Auslöser. Eins ist aber sicher: Er wollte dich weder ärgern noch ist er dominant. Aus Sicherheitsgründen solltest du deinen Hund an einen Maulkorb gewöhnen. Auch das geht über positive Verstärkung, wie du dem verlinkten Artikel entnehmen kannst.
- Es wird ab und zu auch Rückschläge geben. Lass dich dadurch nicht entmutigen!
Schlusswort
Auch wenn es nicht immer leicht war mit Bobby, bin ich froh, diese Erfahrung gemacht zu haben. Sie zeigt deutlich, dass man mit einem fairen freundlichen Umgang und kleinschrittigem positiven Training nahezu Berge versetzen kann. Bobby war es auch, der maßgeblich dazu beigetragen hat, dass ich mich für eine Ausbildung zur Tierpsychologin entschieden habe.
Hast auch du einen schwierigen Hund? Erzähle mir gern von deinen Erfahrungen. Das Kommentarfeld steht für dich bereit.
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