Click für Blick – Training am Angstauslöser

von | 24.05.2024

Nahezu täglich begegnen mir Menschen, deren Hunde ausrasten, sobald sie meine Hündin Rica erblicken. Die Reaktion der Menschen ist fast immer gleich. Ihnen ist das Verhalten ihres Hundes unangenehm, und so versuchen sie, ihren Vierbeiner ruhig zu bekommen – mit mäßigem Erfolg. Dabei greifen einige auch zu Maßnahmen, die sehr unfair gegenüber dem Tier sind.

Doch eines haben alle gemeinsam. Sie reagieren zu spät. Der Hund, der einen anderen Hund anpöbelt, tut dies in den meisten Fällen aus seiner Angst heraus. Ihn dafür zu bestrafen, ist nicht angebracht. Gar nichts zu tun, ist aber auch keine Lösung. Doch es gibt gute Nachrichten: Hundetraining bietet dir Möglichkeiten, diesem Dilemma zu entkommen. Click für Blick ist eine sehr einfache und effektive Übung, um an angstauslösenden Reizen zu arbeiten. Diese stelle ich dir ausführlich vor. Doch bevor wir in die Praxis einsteigen, erläutere ich dir die Hintergründe zur Arbeit mit einem ängstlichen Hund.

Umgang mit Angst auslösenden Reizen

Ich steige mal wieder in meine Zeitmaschine und reise in das Jahr 2010 zurück. Mein Mann und ich gingen mit Rica spazieren. Rica war zu diesem Zeitpunkt erst wenige Wochen bei uns. Unser Weg führte uns an einem Supermarkt vorbei und meinem Mann fiel ein, dass er nochmal schnell was aus dem Laden herausholen wollte. Wir gingen also mit unserem Hund über den Parkplatz in Richtung Eingang des Geschäfts. Einige Meter vor dem Laden blieb Rica plötzlich stehen. An weitergehen war nicht mehr zu denken. Es war, als wäre sie am Boden festgeklebt. Sie war stocksteif und zitterte am ganzen Körper. Es war nicht zu übersehen, dass sie panische Angst hatte, aber warum? Ich war verzweifelt. Wie sollte ich meinem Hund helfen? Und da ich nicht wusste, was ich machen sollte, machte ich gar nichts …

Ich fühlte mich hilflos. Mir tat mein Hund leid. Ich war mit der Situation überfordert und wurde selbst nervös. Aber auch Unverständnis mischte sich in mein Gefühlschaos. „Wieso hat der Hund jetzt Angst, hier will ihm doch keiner was Böses?“ Prompt stieg für einen kurzen Moment Ärger in mir hoch.

So wie mir vor 14 Jahren geht es vielen Hundehalter:innen, wenn ihr Vierbeiner Angst vor etwas aus ihrer Sicht ganz alltäglichen hat. Die Folge dessen ist eine falsche Reaktion. Entweder sie schimpfen mit ihrem Hund, tun gar nichts, so wie ich damals oder sind übermäßig besorgt und reden unentwegt auf ihren Hund ein. Doch all das ist nicht zielführend.

Hund und Mensch. Mensch hält einen Clicker in der Hand

Die Angst „wegtrainieren“?

Hundetraining macht vieles möglich, und damit kann man es auch schaffen, dem Hund die Angst zu nehmen. Doch ohne ein gewisses Maß an Vorkenntnissen werden oft schon bei den ersten Trainingsschritten Fehler gemacht. Häufig reagiert der Mensch erst dann, wenn der Hund schon erste Angstanzeichen zeigt. Das ist jedoch zu spät. Der Organismus schaltet bereits auf „Autopilot“ und ist in diesem Zustand nicht mehr in der Lage, zu lernen.

Doch wie kommen wir da jetzt raus? Einerseits müssen wir mit den Angst auslösenden Reizen arbeiten. Andererseits kann der Hund nicht lernen, wenn er starke Angst hat. Es stellt sich zudem die Frage, ob man seinen Vierbeiner zu Trainingszwecken ständig in Angst versetzen möchte.

Die Lösung: Vorausschauendes Handeln

Um dir zu verdeutlichen, was ich genau mit vorausschauendem Handeln, meine, sehen wir uns gemeinsam das folgende Beispiel an:

Wenn dein Hund einen größeren schwarzen Hund sieht, knurrt er, bellt und schmeißt sich in die Leine. Er macht mit diesem Verhalten deutlich, dass ihm dieser Hund nicht geheuer ist. Doch wenn dein Hund schon so heftig reagiert, ist es für ein Training in diesem Augenblick schon zu spät. Du kannst die Situation jetzt nur noch managen, indem du mit ihm weggehst.

Es gibt ein Verhalten vor dem Verhalten.

Verhalten ist nie gleichbleibend, sondern verändert sich ständig. Gehen wir einmal die eben beschriebene Szene schrittweise durch: Du gehst mit deinem Hund spazieren. Er verhält sich wie immer, läuft locker an der Leine, schnüffelt mal hier und da und schaut sich um. Doch nun kommt der andere Mensch mit seinem großen Schwarzen Hund entgegen. Dein Hund nimmt den anderen wahr. Kurz darauf zeigt er das beschriebene Verhalten.

Um Verhalten beim Hund verändern zu können, müssen wir im Training sehr genau beobachten und zu dem Zeitpunkt reagieren, wo der Hund noch ansprechbar ist. Auf unser Beispiel bezogen bedeutet das konkret:

Du gibst dein Markersignal in dem Moment, in dem dein Hund den schwarzen Hund wahrnimmt, aber noch ruhig ist.

Das ist in der Regel nur ein kurzer Augenblick. Aber er ist entscheidend für den weiteren Verlauf der Hundebegegnung. Dadurch, dass der Hund sein Markersignal bekommen hat, verändert sich für ihn etwas. Hat er das Markensignal doch als etwas Tolles kennengelernt. Natürlich reicht das Markersignal nicht aus, um den „bösen schwarzen Hund“ für deinen Hund zum Freund werden zu lassen. Der zweite Teil des Trainings besteht darin, dem Hund ein Alternativverhalten aufzuzeigen. Was kann er tun, anstatt zu pöbeln und in die Leine zu springen?

Desensibilisierung und Gegenkonditionierung

Leider kommen wir um ein paar Fachbegriffe nicht herum. Wenn es um das Training an angstauslösenden Reizen geht, hast du sicher schon einmal von den Begriffen Desensibilisierung und Gegenkonditionierung gehört. Ich werde mich auch nicht mit langen Definitionen aufhalten. Es ist aber wichtig für das Training, dass du verstehst, was dahinter steckt.

Desensibilisierung

Desensibilisierung bedeutet, dass ein Reiz zunächst in schwacher Intensität gegeben wird, sodass der Hund noch keine Angst oder Stress empfindet. Die Intensität wird im Verlauf des Trainings in kleinen Schritten erhöht.

Nehmen wir das Beispiel Gewitter, das vielen Hunden Angst bereitet. Man lässt Donnergeräusche über einen Lautsprecher laufen, zunächst sehr leiste und im Verlauf des Trainings immer lauter.

Gegenkonditionierung

Bei der Gegenkonditionierung wird in bisher als unangenehm empfundener Reiz mit angenehmen Dingen verknüpft. Auf unser Gewitter-Beispiel bezogen bedeutet das: Immer wenn es donnert, regnet es Wurststücke. Das Donnern soll so für den Hund eine andere, positivere Bedeutung bekommen.

Beides wird beim Training an angstauslösenden Reizen miteinander kombiniert. Dies führt zum Ergebnis, die Angst schrittweise abzubauen. Beides tun wir auch mit der nun folgenden Übung Click für Blick.

Click für Blick – die Übung

Bei dieser Übung geht es darum, dass der Hund lernt, einen optischen Reiz, den er als unangenehm empfindet, anzusehen. Sie legt die Basis für das weitere Training an den unangenehmen Dingen.

Bevor du die Übung jedoch im Alltag einsetzt, empfehle ich dir, zunächst einige Trainingseinheiten in ablenkungsarmer Umgebung durchzuführen, damit auch du dich daran gewöhnst.

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Du benötigst

  • Einen Gegenstand, den dein Hund anschauen soll und vor dem er keine Angst hat, z. B. ein Spielzeug oder etwas aus dem Haushalt
  • kleine Leckerlis zur Belohnung
  • einen Clicker oder dein Markerwort.
    Hilfreich für die ersten Übungen wäre außerdem eine zweite Person, damit du dich voll und ganz auf deinen Hund konzentrieren kannst.

Die ersten Schritte

  1. Die zweite Person platziert sich mit dem Gegenstand einige Meter vom Hund entfernt. Damit der Hund den Gegenstand leichter wahrnimmt, sollte die Person diesen bewegen.
  2. Sobald dein Hund zum Gegenstand schaut, betätigst du den Clicker oder nennst dein Markerwort. Anschließend gibst du ihm ein Leckerchen zur Belohnung.
  3. Wiederhole die Übung zwei- bis dreimal. Dein Hund wird schnell verstehen, dass das Anschauen des Gegenstandes ihm gutes bringt.
  4. Nun kannst du den Abstand schrittweise verringern, indem du mit deinem Hund näher an den Gegenstand herangehst. Sieht er ihn an, Click bzw. Markerwort und Belohnung.

Alternativverhalten aufbauen

Nun sieht dein Hund zwar den Gegenstand an. Doch wenn jetzt weiter nichts passiert, wird er schnell wieder in sein vorheriges Verhalten zurückfallen. Deshalb ist es wichtig, ihm Alternativen aufzuzeigen. Diese sind abhängig von der jeweiligen Situation und können z. B. sein:

  • Weggehen
  • einen Bogen laufen
  • Stehen, Sitzen oder liegen (bleiben)
  • etwas suchen
  • an die Hand des Menschen stupsen
  • auf seine Decke gehen, usw.

Ich erkläre dir jetzt die weiteren Schritte am Beispiel weggehen.

  1. Gehe vor wie oben in Schritt 2 beschrieben.
  2. Führe deinen Hund aus der Situation.
  3. Durch Wiederholung wird dein Hund lernen, dass er eine Alternative hat, nämlich wegzugehen. Er wird sehr wahrscheinlich von sich aus diese Strategie künftig in ähnlichen Situationen wählen.

Praxisbeispiel: Click für Blick bei Hundebegegnungen

Im Jahr 2015 zog Bobby aus Rumänien bei uns ein und brachte einige „Baustellen“ mit, u. a. reagierte er bei unseren Spaziergängen auf andere Hunde aggressiv, wenn er an der Leine lief.

Ich begab mich zum Training in ein Gebiet, das wenig von anderen Hundehalter:innen frequentiert war und wo ich einen guten Überblick hatte. So konnte ich einen sich nähernden Menschen mit seinem Hund schon sehr früh erkennen und mich auf das einstellen, was gleich kommen würde.

  • Ich nahm Bobby auf die Seite, die dem anderen Hund abgewandt war.
  • Ich beobachtete Bobby, vor allem seine Körpersprache.
  • Sobald ich sah, dass Bobby den anderen Hund wahrnahm, nannte ich sein Markerwort.
  • Bobby wandte sich dann meistens zu mir um. Er bekam seine Belohnung.
  • Als Alternativverhalten wählten wir das Stupsen an meine Hand und das hinter mich gehen. Da seine Aggressionen aus der Angst vor anderen Hunden resultierte, gab ihm das die meiste Sicherheit. Hierzu nannte ich mein Signal für das Stupsen und führte ihn zugleich mit meiner Hand hinter mich.

Was hat der Hund gelernt?

Bobby lernte mit dieser Übung, dass es andere Wege gibt, mit einem entgegenkommenden Hund umzugehen, anstatt zu pöbeln und sich in die Leine zu schmeißen. Außerdem verstand er, dass er meine Unterstützung bei der Bewältigung von Schwierigkeiten bekam und sich immer auf mich verlassen konnte.

Natürlich dauert so ein Training eine gewisse Zeit. Aber schon nach etwa einer Woche konnte ich positive Veränderungen erkennen. Bobby fing nicht sofort an mit seinem „Abwehrprogramm“, sondern schaute sich zu mir um, als wolle er fragen: „Frauchen, was soll ich jetzt tun? Hilf mir!“ Nach etwa einem Vierteljahr konnte Bobby entspannt an anderen Hunden vorbeigehen.

Schlusswort

Dem Hund seine Angst zu nehmen, ist oft ein langer und anstrengender Weg. Doch mit Geduld und einem durchdachten Training kannst du es schaffen, deinen Hund Schritt für Schritt aus der Angst zu führen. Die Übung Click für Blick legt dabei den Grundstein für den weiteren Trainingsweg. Mit ihr ist es möglich, am Angstauslöser zu arbeiten, ohne den Hund tatsächlich in Angst versetzen zu müssen.

Schreibe einen Kommentar: Hast oder hattest du einen ängstlichen Hund? Was hat dir im Training mit ihm geholfen?

Bitte Beachte: Das Kommentarfeld ist in erster Linie zur Diskussion Rund um den Blogartikel gedacht. Individuelle Fragen, die deinen Hund betreffen, können hier nicht beantwortet werden. Wenn du Hilfe im Alltag oder bei Problemen mit deinem Hund brauchst, nimmt bitte Kontakt mit mir auf.

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